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EKT Sieglindestr.

Die EKT Sieglindestr. sandte folgende Mail an Abgeordnete:

Sehr geehrte ...,

am 12. Mai 2005 findet die erste Lesung zum Kindertagesbetreuungsreformgesetz im Abgeordnetenhaus statt.

Der Referentenentwurf dieses ohne Zweifel wichtigen Gesetzes datiert vom 05.02.2005. Die Verabschiedung durch das Abgeordnetenhaus soll im Mai/Juni 2005 stattfinden und das Gesetz schließlich am 01.08.2005 in Kraft treten. Eine ausreichende öffentliche Diskussion kann in dieser kurzen Zeit nicht erfolgen. Unserer Ansicht nach ist der Gesetzesentwurf unzureichend und stellt eine existentielle Bedrohung insbesondere für die in Berlin seit Anfang der 70ger Jahre gewachsene Kinderläden dar, von denen es zwischenzeitlich mehr als 700 in Berlin gibt, in denen mehr als 16.000 Kinder betreut werden.

Wurde bei dem Gesetzentwurf an die Kinder- und Schülerläden gedacht?
Wir wenden uns vor der ersten – und wahrscheinlich einzigen – Lesung mit der dringenden Bitte an Sie, sich gewissenhaft die Frage zu stellen, ob dieser Entwurf nicht eine Gefährdung eben desjenigen Gesetzeszweckes darstellt, den das Gesetzt zu erfüllen vorgibt.

Wir möchten uns Ihnen zunächst kurz vorstellen:
Unser Kinderladen Sieglindestraße wurde 1979 erst als Kinderladen gegründet, später kam eine Schülerladengruppe dazu. Seit 26 Jahren bestehen wir; eine Erzieherin und ein Erzieher arbeiten nun 25 bzw. 16 Jahre im Laden. In dieser Zeit hat sich eine von den jeweiligen Eltern und Erziehern getragene pädagogische Arbeit etabliert, die den Zielen einer guten Bildung mehr als gerecht wird. Eltern und Erzieher haben durch ihr Engagement ein Klima entwickelt, in dem sich Kinder wohl fühlen können und so die Voraussetzung für eine positive Entwicklung der Kinder geschaffen. Beim Lesen der Pisa Studie fiel uns noch einmal auf, dass unsere Kinder in einem bildungsfreundlichem Klima aufwachsen und wir vieles von dem verwirklicht haben, was als Voraussetzung eines guten Bildungsprozesses genannt wird. Auch die Rückmeldungen aus den Schulen sind durchgängig positiv.

Um so unverständlicher ist uns, dass wir nun aufgrund eines neuen Kitagesetzes keine Förderung unserer Schülerladenplätze mehr bekommen werden. Ein Kooperationsvertrag für 7 Plätze im kommenden Schuljahr war uns von einer Schule angeboten, dieses Vorhaben jedoch im Mai 2005 abgesagt worden. Die Kinder für diese 7 Plätze wurden von uns vor Monaten aufgenommen. Diese sollen nun gegen den ausdrücklichen Elternwillen in einer anderen Institution betreut werden. Das zeigt, dass der geplante § 19 Abs. 6 des Schulgesetzes unflexibel und ungenau ist und keine Einzelfallprüfung vorsieht. Wir vermissen in diesem § 19 Abs. 6 zum einen die Berücksichtigung des Elternwillens. Denn wir haben die Situation, dass unser Laden die Kooperation will, die Eltern die Kooperation wollen, die Kinder jedoch nicht zu uns dürfen, sondern in einer von der Schule ausgesuchten anderen Institution betreut werden müssen.

Wir vermissen zum anderen im Schulgesetz eine Regelung, die es ermöglicht, auf genau solche Einzelfälle wie den unseren reagieren zu können. Sofern dies in der Verantwortlichkeit der Schulen nicht möglich sein sollte, fordern wir Sie auf, eine Regelung mit ins Gesetz aufzunehmen, die es dem Senat ermöglicht, solche Einzelfälle zu prüfen und zu finanzieren.

Uns bleiben noch drei Monate, um auf diese neue Situation zu reagieren. Wir haben Mietverträge mit festen Kündigungszeiten, die noch nicht abgelaufen sind. Dieses bedeutet für uns eine so hohe finanzielle Belastung, dass die Gefahr droht, dass der gesamte Kinder- und Schülerladen Insolvenz anmelden muss. Das kann mit dem neuen Gesetz wohl kaum gewollt sein!

Das neue Kitagesetz sieht ferner in § 13 eine Qualitätsentwicklungsvereinbarung vor, die von uns unterschrieben werden muss. Eine Qualitätsentwicklung benötigt jedoch finanziell abgesicherte Grundlagen , z.B. für Fortbildung der Erzieher und die Bildung der Eltern. Gerade hier leistet unser Kinderladen vorbildliches: Vierzehntägige Elternabende auf denen Eltern und Erzieher ausführlich Gelegenheit haben die Bildungsarbeit und Erziehungsprobleme zu reflektieren. Für Qualitätsentwicklung benötigt man jedoch auch Geldmittel für Materialien sowie technische Geräte.
Aber der § 13 geht noch weiter: Es muss nicht nur eine Qualitätsentwicklungsvereinbarung unterzeichnet werden, sondern sollen in dieser auch „nähere Anforderungen an die Konzeption“ festgeschrieben werden. Glauben Sie wirklich, dass man Qualität (besser) entwickeln kann, nur weil man ein Etikett drauf klebt? Liest man die Vorschläge zum neuen Gesetz, werden Mittelkürzungen und nicht Mittelzuschüsse die Folge sein. Wie aber soll Qualität entwickelt werden mit noch weniger Geld?
Dazu wird außerdem die Kontinuität der Arbeit in Frage gestellt, da keine Planungssicherheit gewährleistet werden kann. Gerade kleine Einrichtungen können hier nicht flexibel auf eine stets wechselnde Höhe der Zuwendungen reagieren, denn Arbeitslosigkeit oder Schwangerschaft eines Elternteils können dann für den ganzen Laden das Aus bedeuten.

Kinder- und Schülerläden sind ein fester Bestandteil der Berliner Bildungslandschaft und haben starken Einfluss auf die Verbesserung von Bildung in Kindertagesstätten und auch in Schulen. Auf diese Institutionen leichtfertig für die Zukunft zu verzichten widerspricht allen Erkenntnissen, die wir aus der aktuellen Bildungsdiskussion ziehen.
Ähnlich, wie unsere „Geschichte“, stellt sich die Situation auch für viele andere Kinderläden dar.

Wir sind der Ansicht, dass das geplante Gesetz nicht geeignet ist, die Grundlagen für eine bessere Bildung und bessere Bildungschancen zu fördern.
Exemplarisch sei hier genannt die verschärfte Bedarfsprüfung: Es ist – wie unsere Einrichtung zeigt – besonders wichtig, die Gruppe der Kinder quasi als „Mini-Gesellschaft“ geschlossen zu erziehen und so die gesellschaftliche Kompetenz der Kinder zu fördern. Allein die Vorstellung, Kinder von möglicherweise arbeitslos gewordenen Eltern nach einem halben Tag der Betreuung nach Hause schicken zu müssen, führt unweigerlich zu einer Ausgrenzung dieser Kinder und ist damit kontraproduktiv.

In dem Gesetz wird vor allem auf die sprachliche Förderung abgestellt. Dies ist natürlich wichtig. Aber die soziale Integration ist ebenso wichtig und kann nicht hinter der sprachlichen Integration zurück bleiben. Genau dies wäre aber der Fall, wenn eine homogene Gruppe – wie in unserem Kinderladen – nach oder gar vor dem Mittagessen auseinander gerissen würde und am Nachmittag nur noch ein Teil der Gruppe zusammen wäre. Was würden Sie den Kindern sagen, wenn sie Sie fragen würden, warum sie nicht mehr dabei sein dürfen?
Aber nicht nur das: Durch die zeitliche Begrenzung wären Ausflüge kaum mehr möglich. Wie wollen Sie die Aufgaben und Ziele aus § 1 erfüllen, wenn die Kinder aus Zeitgründen gerade einmal einen „Ausflug“ auf den Spielplatz unternehmen können?

Wir verweisen auf den Beschluss des Landesparteitages der Berliner SPD von 09.04.2005, in dem davon die Rede ist, dass die Bedarfsprüfung für einen Platz in der KITA abgeschafft wird und langfristig allen Kindern ein Platz kostenfrei offen stehen soll. Dies ist der richtige Ansatz. Denn es sollte den Eltern obliegen, zu entscheiden, ob und wie lange ihr Kind in der Gruppe gesellschaftlich integriert wird. Leider ist von diesem Ansatz in der jetzigen Fassung des Gesetzes nichts zu finden.

Wenn Sie also über das Gesetz abstimmen, sollten Sie daran denken, dass es in der jetzigen Fassung diejenigen Institutionen kaputt macht, die es (wahrscheinlich) gerade nicht im Visier hatte.

Berlin, 11.05.2005
Gisela Brettle, Erzieherin und Ulrich Ahlers-Gritschke, Erzieher,
Silke Haase und Britta Rohweder-Lenz für die Eltern des Kinderladens Sieglindestraße 8


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