Offener Brief EKT Rosinante

Die EKT Rosinante wandte sich mit einem Brief ans Abgeordnetenhaus. Hier außerdem das dazugehörige Anschreiben:

Sehr geehrte Mitglieder des Senatsausschusses für Jugend, Familie,
Schule und Sport,

am 30. Mai findet die Sondersitzung des Jugendausschusses zur Änderung
des Kitagesetzes statt.
Wir als Eltern-Initiativ-Kita sehen den Änderungen mit großer Besorgnis entgegen. Besonders für so kleine Einrichtungen wie unsere (15 Kinder, 3 Erzieherinnen in Teilzeit, sämtliche Verwaltungsarbeit ehrenamtlich) bedeuten die geplanten Verschärfungen in ihrer Konsequenz erhebliche finanzielle Einschnitte. Sollte das Gesetz in der jetzigen Form
verabschiedet werden, sehen wir ab Sommer 2006 die Erfüllung des pädagogischen Anspruchs, die Arbeitsplatzsicherheit für unsere Angestellten und nicht zuletzt die weitere Existenz unseres Kinderladens in Gefahr.

Besonders kritisch sehen wir die geplante Verschärfung in der Bewilligung von Ganztagesplätzen, die geplante jährliche Überprüfung des Betreuungsbedarfsanhand der Berufstätigkeit der Eltern, die Ermöglichung von befristeten Betreuungsbescheiden, sowie die Bedarfsermittlung anhand der durchschnittlichen Arbeitszeitanstatt wie bisher anhand des längsten Arbeitstages.

In anhängendem Brief erklären wir einige dieser Punkte aus der Sicht betroffener Eltern genauer und hoffen, dass sie in der Diskussion und letztendlich in der Entscheidung berücksichtigt werden.

Vielen Dank für Ihr Interesse,
stellvertretend für den Vorstand und die Elternschaft der Eltern-Initiativ-Kita Rosinante e.v. in der Rosenthaler Vorstadt,


Offener Brief

Rosinante e.V. * Strelitzer Str. 71 * 10115 Berlin
Berlin, 21. Mai 2005

Änderung des Kitagesetzes
58. Sitzung (Sondersitzung) des Ausschusses für Jugend, Familie, Schule und Sport

Sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses,

am 30. Mai findet die Sondersitzung des Jugendausschusses zur Änderung des Kitagesetzes statt. Wir als Eltern-Initiativ-Kita sehen den Änderungen mit großer
Besorgnis entgegen. Besonders für so kleine Einrichtungen wie unsere (15 Kinder, 3
Erzieherinnen in Teilzeit, sämtliche Verwaltungsarbeit ehrenamtlich) bedeuten die
geplanten Verschärfungen in ihrer Konsequenz erhebliche finanzielle Einschnitte. Sollte
das Gesetz in der jetzigen Form verabschiedet werden, sehen wir ab Sommer 2006 die
Erfüllung des pädagogischen Anspruchs, die Arbeitsplatzsicherheit für unsere
Angestellten und nicht zuletzt die weitere Existenz unseres Kinderladens in Gefahr.
Besonders kritisch sehen wir die geplante Verschärfung in der Bewilligung von
Ganztagesplätzen
, die geplante jährliche Überprüfung des Betreuungsbedarfs
anhand der Berufstätigkeit der Eltern, die Ermöglichung von befristeten
Betreuungsbescheiden, sowie die Bedarfsermittlung anhand der durchschnittlichen
Arbeitszeit
anstatt wie bisher anhand des längsten Arbeitstages :

 Die Reduzierung eines einzelnen Platzes von Ganztag auf Halbtag bedeutet für
uns - je nach Alter des Kindes – geringere Einnahmen von 100 – 170 Euro
monatlich. Würde die Hälfte unserer Kinder herabgestuft werden, sähen wir uns
gezwungen, eine unserer Erzieherinnen zu entlassen
, müssten jedoch wegen
der restlichen Kinder unsere Öffnungszeiten beibehalten. Dies würde eine
anspruchsvolle pädagogische Arbeit – wie sie ja begrüßenswerter Weise im
Berliner Bildungsprogramm als verbindliches Ziel formuliert wurde – unmöglich
machen. Statt der so wichtigen frühkindlichen Bildungsarbeit wäre nur eine
reine „Verwahrung“ möglich
, da zwei Erzieherinnen auf Teilzeit einen Großteil
ihrer Arbeit mit pflegerischen Maßnahmen (wickeln, Toilettenbesuch, füttern,
Essen ausgeben, Tisch decken und abräumen, Kinder an- und ausziehen, etc.)
verbringen.

 Aufgrund unserer speziellen Gründungssituation, sehen wir uns besonders stark
von den Neuregelungen betroffen. Da wir voriges Jahr mit unseren erstgeborenen
Kindern (Jahrgang 2002 und 2003) die Kita eröffneten, ist nun bei vielen der
beteiligten Familien ein weiteres Geschwisterkind geboren worden, bzw. geplant.
Nach den vorgesehen Änderungen, soll ein Ganztagesbetreuungsplatz für ein
Kind, dessen Mutter in der Erziehungszeit ist, nicht mehr bewilligt, bzw. auf einen
Halbtagesplatz heruntergestuft werden. Zu den oben bereits ausgeführten
finanziellen und personellen Schwierigkeiten für die Kita kommen die zusätzlichen
Schwierigkeiten für die betroffenen Eltern und die Kinder, die sich auf eine
geringere Betreuung des älteren Kindes einstellen müssen. Dies würde
momentan fünf unserer Kinder betreffen
.

 Viele der beteiligten Eltern konnten nur deshalb die Zeit und Energie für eine Kita-
Gründung (mit dem damit verbundenen hohen Zeitaufwand an ehrenamtlicher
Arbeit für Elterntreffen, Ausarbeitung eines pädagogischen Konzeptes, übliche
Bau- und Reparaturarbeiten, Einstellung und Betreuung des Personals,
gelegentlich Elterndienste zur Vertretung, Lohn- und Finanzbuchhaltung und
allgemeine Verwaltung und Planung u.a.) aufbringen, da sie entweder noch am
Ende ihrer Ausbildung (Studium, Promotion) stehen oder durch Praktika oder
befristete Projektstellen einen Berufseinstieg leisten. Durch die schlechte Situation
speziell auf dem Berliner Arbeitsmarkt und speziell für Jungakademiker mit kleinen
Kindern besteht für viele von uns nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, eine
adäquate, längerfristige Stelle in Vollzeit zu bekommen. Für weitere 60% unserer
Eltern würde nach momentanem Stand bei einer jährlichen Neueinschätzung
kein Ganztagesplatz mehr bewilligt werden
. Die vom Arbeitsmarkt geforderte
ständige Weiterbildung sowie das notwendige aktive Bemühen um nachfolgende
Arbeitsstellen wären dann ebenso wenig möglich wie die weitere ehrenamtliche
Tätigkeit in dem bisherigen Ausmaß.

 In dem Entwurf für das neue Kitagesetz ist zudem die Möglichkeit eines befristeten
Betreuungsbescheids z.B. für die Dauer eines Praktikums vorgesehen. Was aus
finanzpolitischer Perspektive vielleicht noch einleuchtend klingen mag, ist aus
pädagogischer Sicht sehr zweifelhaft und widerspricht den Grundsätzen des
Berliner Bildungsprogramms. Hier wird eine kontinuierliche pädagogische Arbeit in
festen Kleingruppen als eine der Voraussetzungen für erfolgreiche frühkindliche
Bildung gesehen. Bei auf einige Wochen oder Monate befristeten
Betreuungsbescheiden ist weder für die Erzieher, noch für die Kinder keinerlei
Verlässlichkeit mehr gegeben, Kindergruppen werden allein nach Bedarfen
zusammengesetzt und wieder auseinander gerissen, besonders kleine Kinder
reagieren auf neue Situationen stark durch Irritation und müssen immer wieder
neu eingewöhnt werden, was wiederum mehr Zuwendung durch die Erzieherinnen
bedeutet, zu Lasten der Gruppe. Das kann doch nicht gewünscht sein!

 die Bedarfsermittlung anhand der durchschnittlichen Arbeitszeit anstatt wie
bisher anhand des längsten Arbeitstages erfüllt uns nur mit Verwunderung, da wir
nicht verstehen können, was hier von den Eltern erwartet wird. Aufgrund der
schlechten und unsicheren finanziellen Situation speziell von Eltern, die
Berufsanfänger oder in der Ausbildung sind, kann der Gesetzgeber doch nicht
erwarten, dass sie entweder einige Lehrveranstaltungen gar nicht besuchen
können, in ihrem Job über keinerlei der so wichtig gewordenen Flexibilität verfügen
(was sie gegenüber kinderlosen Kollegen ohnehin bereits genügend benachteiligt!)
und/oder nebenbei noch eine private Kinderbetreuung leisten!

Generell sehen wir in dem neuen Kitagesetz in seiner jetzigen Form eine weitere
Benachteiligung von Eltern allgemein und besonders von Mehrfacheltern, von Eltern in
Ausbildung oder im Berufseinstieg, sowie von ehrenamtlich engagierten Eltern.
In seiner Konsequenz führt das neue Gesetz zu einer weiteren Benachteiligung der
Mütter, welchen durch die reduzierte Kleinkindbetreuung eine selbstbestimmte Lebensund
Karriereplanung weiter erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht wird!
Einige unserer Eltern entschieden sich explizit dazu, in Berlin zu arbeiten und Familie zu
haben, weil – trotz der schlechten allgemeinen Situation – zumindest für die Betreuung
der Kinder gesorgt war. Ein Anpassen der Kinderbetreuungssituation an westdeutsche
Verhältnisse würde zu einem weiteren Wegzug überdurchschnittlich qualifizierter Eltern
aus Berlin führen und der Stadt weiteres Potenzial entziehen.
Das Fernhalten von gut qualifizierten Frauen aus der Arbeitswelt schafft weder eine Basis
für Wirtschafts-, noch für Familienpolitik und wird besonders für Akademikerinnen eine
weitere Hürde zum Kinderkriegen sein. Es kann nicht im Interesse einer Stadt sein, auch
noch ihre letzten „Standortvorteile“ zunichte zu machen, die pädagogische Qualität in der
Kleinkindbetreuung zu verschlechtern, engagierte Bürgerinnen und Bürger zu bestrafen
und eine für Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur wichtige Bevölkerungsschicht zu
vertreiben!

Mit freundlichen Grüßen,

stellvertretend für den Vorstand und die Elternschaft,

M. P.


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