Protest gegen Kitareformgesetz

Neue Bedarfs- und Gebührenregelung geplant: GEW, Freie Träger, Eltern und Bezirke fordern Änderungen

von Florentine Anders

Schon vor dem Abgeordnetenhaus campierten gestern Erzieherinnen mit Kita-Kindern, um die Parlamentarier vor den Folgen des geplanten Kitareformgesetzes zu warnen. In einer außerordentlichen Anhörung stand der Entwurf des Senats auf dem Prüfstand. Vertreter der GEW, Freie Träger, der Eltern und der Bezirke forderten dringend Änderungen an dem umfangreichen Gesetz, das noch im Juni verabschiedet werden soll.

Strengere Bedarfsprüfung:
Der Gesetzesentwurf sieht vor, den Bedarf für einen Kitaplatz strenger zu reglementieren als bisher. So soll die berufliche Situation der Eltern jährlich überprüft werden. Ändert sich die Arbeitszeit, verändert sich auch der Umfang der Betreuung. Bei wechselnden Arbeitszeiten wird der Durchschnitt gebildet. Viele Eltern, die jetzt noch einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung haben, würden so in die Teilzeitbetreuung gedrängt, fürchten freie Träger und Gewerkschaft. Kleine Träger mit 20 Kindern könnten so kaum noch ganztägige Öffnungszeiten garantieren, erklärt Roland Kern vom Dachverband der Elterninitiativkitas (DakS). Außerdem soll der rechtliche Anspruch auf einen Kitaplatz erst mit drei Jahren einsetzen. Derzeit gilt er schon ab zweieinhalb Jahren. Die GEW fürchtet einen Personalabbau. Der Bedarf solle am Kind und nicht an den Eltern gemessen werden.

Gebühren der Eltern:
In dem Gesetzeswerk hat der Senat auch die Beiträge für die Horte an den Schulen neu geregelt. Die Eltern, die einen Bedarf nachweisen, können künftig zwischen Zeit-Modulen wählen und dadurch Geld sparen. Eine Ungerechtigkeit sehen die Kritiker darin, daß die Zeitspanne zwischen 13.30 Uhr und 16 Uhr in offenen Ganztagsschulen kostenpflichtig ist, während diese Zeit in gebundenen Ganztagsschulen beitragsfrei ist. Zu befürchten sei, daß sich viele Eltern wegen der Kosten gegen den Hortbesuch entscheiden. Damit würde auch das pädagogische Konzept von einer Verzahnung zwischen Unterricht und Freizeit scheitern, betont Hoyer. In der Kita sprachen sich alle Befragten Experten für ein kostenfreies Vorschuljahr aus.

Übertragung der Horte:
Der Gesetzesentwurf schafft auch die längst überfällige Grundlage für die Verlagerung der Horte an die Schulen. Allerdings sind anders als bisher die Standards für Personal und Räumlichkeiten nicht gesetzlich festgeschrieben. Eltern und Träger befürchten, daß sich die Gruppen von derzeit 22 Kindern noch vergrößern könnten. Abgesenkt wird im Entwurf die zusätzliche Personalausstattung für die Betreuung von behinderten Kindern und von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache.

Eigenbetriebe:
Die kommunalen Kitas sollen künftig in höchstens sechs bezirksübergreifenden Eigenbetrieben verwaltet werden. Sorge haben die Experten um die Wirtschaftlichkeit der neuen Gebilde. Denn wie bei den freien Trägern sollen dann auch die Kosten für die städtischen Plätze nur zu 91 Prozent erstattet werden. Unklar ist, wie der Fehlbetrag ausgeglichen wird.

Weniger Zeit für die Kinder
Die Unsicherheit unter den Erzieherinnen in der Kindertagesstätte Jerusalemer Straße in Mitte ist angesichts der geplanten Gesetzesänderungen groß. Dabei ist
die Einrichtung eher ein Vorzeigeobjekt. Die Kita ist in einem modernen, gut ausgestatteten Bau untergebracht, die Kinder kommen aus gutsituierten Familien, die Wert auf frühe Bildung legen. Und die Erzieherinnen versuchen den Erwartungen gerecht zu werden. Doch in dem neuen Gesetz klaffen der Anspruch und die Rahmenbedingungen auseinander. "Die Kitas werden verpflichtet das Bildungsprogramm umzusetzen, erhalten dafür aber nicht mehr Personal", erklärt Christiane Weißhoff, stellvertretende Leiterin, den Widerspruch. Das bedeute in der Praxis, die Erzieherinnen werden weniger Zeit mit den Kindern verbringen. Was wie ein Paradoxon klingt, ist in der Kita Jerusalemer bereits jetzt Alltag. Wenn Christiane Weißhoff Projekte erarbeitet, den Sprachstandstest auswertet oder den Entwicklungsstand ihrer Kinder dokumentiert, muß die Kollegin in dieser Zeit die Gruppe von 15 Kindern allein betreuen. Durch das neue
Gesetz würde dieser Zustand zur Regel. Statt dessen sollten Vor- und Nachbereitungszeiten gesetzlich festgeschrieben werden, fordert Christiane
Weißhoff.
Unlösbar scheinen ihr auch die Probleme, die mit der durchschnittlichen Betreuungszeit einhergehen. "Es gibt Eltern die arbeiten drei Tage voll und zwei Tage nicht", sagt die Erzieherin. Denen nütze der Durchschnitt wenig. Auch die pädagogische Arbeit wäre schwerer, wenn viele Eltern ihre Kinder früher abholen würden. Ausflüge in der Gruppe ins Schwimmbad oder ins Museum seien schwierig, wenn die ersten Kinder schon wieder nach dem Mittagessen zurück
sein müssen.
Zukunftsängste haben die Erzieherinnen angesichts der Eigenbetriebe. Sie befürchten, daß das Modell wirtschaftlich scheitern könnte und dann auch alle städtischen Kitas privatisiert werden.

Berliner Morgenpost, 31.5.05


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