Beschluss des Berliner SPD-Parteitags

Unter dem Titel "Stadt des Wissens Berlin" gab es am 9. April 2005 einen Landesparteitag der SPD. Wir zitieren aus dem dort verabschiedeten Leitantrag, der hier vollständig im Internet zu finden ist.


4. Vorrang für frühe Erziehung und Bildung

Nur qualifizierte Bildung im Kindergarten, in der Kindertagesstätte und der Grundschule kann die sichere Grundlage für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn schaffen – dabei müssen sprachliche und andere sozialisationsbedingte Defizite abgebaut werden, bevor die Kinder eingeschult werden. Bildung ist der erste Baustein zur Integration aller in eine demokratische Gesellschaft.

Die Unterfinanzierung der vorschulischen Bildung ist ebenso wie die der Grundschule vorrangig zu korrigieren. Kindertagesstätten sollen als vorschulische Bildungseinrichtungen weiter entwickelt werden und langfristig allen Kindern gebührenfrei offen stehen. Die Bedarfsprüfung für einen Platz in der Kita wird abgeschafft. Gute ganztägige vorschulische Erziehung und Bildung ist auch eine Garantie für die pädagogisch anspruchsvolle Betreuung junger Menschen. Sie entspricht daher auch unserem Leitbild der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Rahmen der Gleichstellungspolitik und liefert die Voraussetzung dafür, dass auch Väter und Mütter ins Arbeits- und Wirtschaftsleben integriert werden können.

Die Notwendigkeit und Bedeutung einer früh einsetzenden Bildung ist durch die internationalen Vergleichsstudien überzeugend nachgewiesen. Für Deutschland haben sie mehrfach Defizite sowie Unterfinanzierung des Elementar- und Primarbereiches im Vergleich zu den weitergehenden Schulstufen aufgezeigt. Dies gilt leider auch für Berlin, trotz der überdurchschnittlich guten flächendeckenden Versorgung bei den Tageseinrichtungen für Kinder. Die Grundlagen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn und die soziale Integration werden in den Kindertagesstätten gelegt. Förderung der Sprachkompetenz und Abbau von individuellen Defiziten sind Kernaufgaben vorschulischer Bildung. Berlin hat mit Sprachstandsfeststellungen und dem Bildungsplan erste Maßnahmen ergriffen. Die gezielte sprachliche Förderung muss allerdings bereits mit dem dritten Lebensjahr einsetzen.

In den sozialen Brennpunkten sind Kindertagesstätten in ihrer Bedeutung als schulvorbereitende Einrichtungen neu zu definieren. Über ihre traditionelle Aufgabenstellung als Sozialisationsinstanz hinaus wächst Kindertagesstätten in diesen Wohngebieten zunehmend immer mehr die Aufgabe zu, bereits im frühkindlichen Alter die Einwirkungen und Folgen des Lebens in einem bildungsfernen Milieu zu minimieren oder auszugleichen.

Folgende Maßnahmen sind zum Teil schon eingeleitet oder werden von uns weiterentwickelt:
• Die Kita-Kostenfreiheit wird schrittweise eingeführt, beginnend für Kinder, die das letzte Jahr einer Kita besuchen.
• Die Mittel für den Abbau sprachlicher und anderer sozialisationsbedingter Defizite werden verstärkt.
• Eine gezielte Aufklärungs- und Werbekampagne für den Kita-Besuch in Zusammenarbeit mit den Migrationsbeauftragten des Landes und der Bezirke, dem Quartiersmanagement, mit Vereinen und Projekten.
• Kitas und Grundschulen in sozialen Brennpunkten werden personell und materiell mit mehr Ressourcen ausgestattet.
• Die Gruppengrößen dürfen nicht vergrößert werden (max. 15 Kinder pro ErzieherIn), um eine individuelle Betreuung zu gewährleisten.
• In den Kitas sollen verstärkt Inhalte und Fähigkeiten zum Themenkomplex „Gesundheit – gesunde Ernährung – Sport – Bewegung“ vermittelt werden, da jugendsoziologische Befunde Defizite in diesen Bereichen belegen.
• Die Aus- und Weiterbildung des Lehr- und Erziehungspersonals muss qualitativ und quantitativ der Bildungsaufgabe angepasst werden – insbesondere muss eine Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern erfolgen, um die Sprachkompetenz von Kindern nichtdeutscher Herkunft gezielt fördern zu können. Bis zum Erreichen
dieses Ziels ist als eine Übergangsmaßnahme für die sozialen Brennpunktgebiete der Stadt mit der Beschäftigung erwerbsloser Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer zur Förderung der "Sprachkompetenz" in den Kitas zu beginnen.
• Eine verpflichtende Reihenuntersuchung des Entwicklungsstandes bei Kindern im Alter von spätestens vier Jahren, mit der Prüfung der Möglichkeit, verpflichtende gebührenfreie vorschulische Maßnahmen bei Kindern einzuführen, die eine deutlich verzögerte sprachliche oder körperliche Entwicklung aufweisen. In diesem Zusammenhang streben wir an, das letzte Kita-Jahr dieser Kinder kostenfrei zu stellen.
• Die Prüfung und gegebenenfalls eine Änderung der Gesetzeslage, damit bei Kindern, die von Transferleistungen leben, eine Direktüberweisung der Kitakostenbeiträge durch das Sozialamt/Jobcenter an den Kita-Träger erfolgen kann.
• Kurse / Angebote der Familienbildung sollen in Form von „Elternschulen“ in direkter Verbindung mit Kita-Standorten entwickelt und angeboten werden.

Wir treten dafür ein, dass zum nächst möglichen Zeitpunkt die Budgetzuweisung an die Bezirke stärker die dort jeweils vorhandenen besonderen sozialen Bedingungen berücksichtigt, zugunsten von Klassenfrequenzen, Schulversuche, Modellvorhaben und besondere bauliche Bedingungen. So erfordern auch bestimmte Sozialstrukturen in den Kiezen zusätzliche Raumbedarfe bei der Ganztagsbetreuung, als der zu bemessene Raumstandard es vorsieht.


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